Einem Forschungsteam am 5. Physikalischen Institut der Universität Stuttgart ist es mit Hilfe ihres einzigartigen hochauflösenden Ionenmikroskops gelungen, die dynamischen Prozesse von atomaren Kollisionen unter extremen Bedingungen zu untersuchen. Sie konnten dabei komplexe Teilchenbewegungen vorhersagen und im Experiment messen. Ihre Entdeckung trägt zu einem tieferen Verständnis, wie Kollisionsdynamiken in quantenmechanischen Systeme entstehen, bei.
Ionen und Rydberg-Atome auf Kollisionskurs
Die Forschenden machen sich dabei die besonderen Eigenschaften von Ionen und Rydberg-Atomen zunutze, die über sehr große Distanzen miteinander wechselwirken können. In diesem Fall ziehen sich die beiden Teilchen gegenseitig an, obwohl lediglich das Ion eine positive Ladung hat, während das Rydberg-Atom neutral ist. Die sehr gute Kontrolle der experimentellen Parameter erlaubt es, die Ausgangsbedingungen – zum Beispiel den Abstand zwischen den beiden Teilchen – mit hoher Präzision zu kontrollieren.
Besonders an der hier untersuchten Kollision ist, dass die beiden Teilchen nicht nur auf einem einzigen Weg miteinander kollidieren können, sondern auf vielen verschiedenen Kollisionspfaden. Spurwechsel sind immer dann möglich, wenn zwei Pfade an einem Kreuzungspunkt aufeinandertreffen. Das Team hat eine Art Landkarte berechnet, in der alle relevanten Pfade und Kreuzungspunkte verzeichnet sind. An jedem Kreuzungspunkt bleibt ein Teilchen entweder auf seinem ursprünglichen Pfad oder springt in einen anderen quantenmechanischen Zustand, d. h. wechselt auf einen alternativen Weg. Solche Zustandsübergänge spielen auch in anderen fundamentalen Systemen eine wichtige Rolle, immer dann, wenn sich zwei wechselwirkende Quantenzustände treffen.
Das System bestehend aus einem Ionen-Rydberg-Paar hat den Vorteil, dass die Teilchen, die auf Kollisionskurs sind, einen relativ großen Abstand zueinander haben. Der Kollisionsprozess läuft deshalb verhältnismäßig langsam ab und kann besonders gut beobachtet werden. Ein weiteres interessantes Detail ist, dass Teilchen, die anfangs schnell aufeinander zufliegen, später kollidieren als Teilchen, die zu Beginn langsamer unterwegs waren. Die Forschenden erklären dieses intuitiv erst einmal unerwartete Verhalten mit den Kreuzungspunkten im System: Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Teilchen seinen Pfad wechselt, ist höher, wenn es sich langsam bewegt. Da die Teilchen anfangs so präpariert werden, dass sie auf dem langsamsten Pfad starten, führt jeder Zustandswechsel zu einer Beschleunigung des Kollisionsprozesses. Dieser Effekt resultiert in einer deutlich verkürzten Kollisionszeit.
In den Experimenten konnte dieses Verhalten nicht nur beobachtet, sondern auch die Sprungwahrscheinlichkeit kontrolliert manipuliert werden. Gemeinsam mit einem Team der Universität Hamburg haben die Forschenden ein mathematisches Modell entwickelt, um den komplexen Kollisionsprozess zu simulieren. Die Ergebnisse aus der Theorie passen sehr gut zu den experimentell gemessenen Daten.
Ausblick
Die detaillierte Beobachtung und Simulation von Kollisionsprozessen auf atomarer Ebene erlaubt die präzise Vorhersage des Teilchenverhaltens. Das mathematische Modell, das für dieses Experiment entwickelt wurde, lässt sich leicht auf viele weitere aktuelle Fragestellungen der Physik anwenden, beispielsweise im Bereich der kalten Quantenchemie oder für die Beschreibung von Ionisationsprozessen.
Originalveröffentlichung
Moritz Berngruber, Daniel J. Bosworth, Oscar A. Herrera-Sancho, Viraatt S. V. Anasuri, Nico Zuber, Frederic Hummel, Jennifer Krauter, Florian Meinert, Robert Löw, Peter Schmelcher, Tilman Pfau
‚In Situ Observation of Nonpolar to Strongly Polar Atom-Ion Collision Dynamics‘
Phys. Rev. Lett. 133, 083001 (2024)
arXiv:2401.12312 [physics.atom-ph], https://doi.org/10.48550/arXiv.2401.12312 (2024)